Hate Speech – nur für Menschen oder auch für Technik?

Am Beispiel der Elektromobilität im Vergleich zum Verbrennungsantrieb werfe ich heute die Frage auf, ob der Begriff „Hate Speech“ eigentlich auch auf Technik anwendbar ist, wenn man den öffentlichen Diskurs zu diesem disruptiven Technologiewandel betrachtet.

In deutscher Sprache ist „Hate Speech“ die Hassrede und bezieht sich üblicherweise auf Menschen oder eine Menschengruppe. Inzwischen ist es gängiger Gebrauch, den amerikanischen Begriff auch im deutschsprachigen Raum zu verwenden, insbesondere wenn von Hassrede im Internet die Rede ist.  

Mittlerweile stellt sich mir immer häufiger die Frage, ob Bashing oder Schmähen von Technologien, Produkten und Prozessen auch darunterfallen kann. Brauchen diese eine eigene Begrifflichkeit?

Wertende Darstellung von Produkten ist ja dort sehr gebräuchlich, wo starke Emotionen an die Produkte geknüpft sind. Gängig sind z.B. Bekleidung oder Autos, wo man sich in Foren heftig darüber auslässt, ob etwas phantastisch oder „grottenschlecht“ aussieht.

In jüngerer Zeit ist im Zuge des Technologiewandels und, vielleicht sogar als Teil der Disruption, auch Schmähung von Technologien zu finden. Diese lässt sich in 4 Diskreditierungsstufen aufteilen:

  1. Diskreditierungsstufe

Dabei ist die Schmähung angesichts vermeintlich oder tatsächlich fehlender Produkteigenschaften die niedrigste, offensichtlichste und wahrscheinlich auch am wenigsten verwerfliche Form.

So z.B. der fehlende „Klang“ des E-Motors im Vergleich zum Verbrenner:  während in den einen Ohren fehlendes, vielzylindriges Geschrei ein Ohrenschmaus ist, ist es in anderen ein starker Mangel.

Persönliche Produktpräferenz zu kommunizieren, ist ja durchaus nicht ehrenrührig, wobei die Darstellung eigener Vorlieben nicht zwangsläufig der kommunikativen Zerstörung des weniger geliebten Objektes bedarf, was aber trotzdem eher häufig vorkommt.

2. Diskreditierungsstufe

Die nächsthöhere „Diskriminierung“ ist die kommunikative Assoziation einer Technik oder eines Produktes mit einer allgemein bekannten Schlechteigenschaft.

Das kann z.B. Klimaschädlichkeit im Allgemeinen sein oder auch sehr spezifisch z.B. Kinderarbeit.

Da spielt es dann offensichtlich keine Rolle, dass die Abgasnachbehandlung beim Verbrenner teils auf die gleichen seltenen Rohstoffe (bspw. Kobalt) zurückgreift wie die Elektromobilität, so dass sich die Assoziation „Kinderarbeit“ nicht auf eine Antriebsart einschränken lässt.

Im Vergleich zu „sauberer Kommunikation“ wird nicht geprüft, ob es sich tatsächlich um eine einseitig zuordenbare „Unzumutbarkeit“ handelt oder ob es sich – wie im vorliegenden Fall – sogar noch stärker dem anderen Vergleichspartner zuordnen lässt (siehe Kobalt im Abgaskatalysator).  

3. Diskreditierungsstufe

In der 3. Stufe werden Kontraindikationen aufgebauscht oder Vorteile klein geredet.

Am Beispiel der E-Mobilität ist es so, dass Kritiker immer wieder die Kohleverstromung als Argument so verzerren, dass sie als „Given Fact“ herangezogen wird. Dadurch wird dem E-Fahrzeug die Umweltbelastung der Kohleverstromung als Bürde auferlegt. Durch eine fehlende kommunikative Einordnung entsteht implizit der Eindruck, dass dies heute und für alle Zeit als eine Art prinzipielle Schwäche hingenommen werden müsse.

Unter den Tisch fallen gelassen wird jedoch der in den letzten Jahren stark fallende Anteil der Stromerzeugung aus Kohle. Dieser politische Wille wurde gar in ein Gesetz gegossen, das sogenannte Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG), das im August des Jahres 2020 verabschiedet wurde. Durch die faktenbasierte Betrachtungsweise dreht sich die Einschätzung also weg von der Umweltmogelpackung E-Auto, hin in eine Art von selbstverstärkender Positivschleife im Rahmen von weiter abnehmender Kohlekraftwerkspopulation. 

4. Diskreditierungstufe

Die 4. Stufe kommt auf leisen Sohlen nahezu unbemerkt daher, hat aber die wohl verheerendste Wirkung: die Setzung eines falschen Bezugsrahmens.

In der Diskussion um E-Antrieb/Verbrenner nutzen auch renommierte Ökonomen, das wohl bekannteste Beispiel eines falschen Bezugsrahmens: „Stell Dir vor, morgen fahren alle elektrisch!“

Mit diesem Killersatz kann jede Innovation abgewürgt werden. Der plötzliche Einsatz einer neuen Technologie führt zu extremen Überschüssen und Knappheiten gleichermaßen.

Man stelle sich vor, der Übergang vom Pferd zum Motorwagen wäre an einem Tag passiert:

  • Überforderte Schlachtereien, Fleischüberhang
  • Arbeitslose Stallburschen und Kutscher, leerstehende Stallungen, Futtermittelüberschüsse
  • Ein Mangel an Chauffeuren (Aussage vom deutschen Kaiser), evtl. Umschulungen
  • Keine Tankstellen, Reparatur- und Servicebetriebe
  • Mangel an „Patentmotorwägen“, sicher mehrere Jahre Wartezeit, etc.

Beim E-Auto wärs nicht anders: nicht genug elektrische Energie, zu wenig Ladesäulen, zu wenig Halbleiter, zu wenig Platinen, zu wenig seltene Erden für die Batterien, Überhang an fossilen Kraftstoffen, viel zu wenig Fahrzeuge baubar von heute auf morgen,…

Dass das jedoch niemals eintreten wird, dafür sorgt die mittlerweile durchschnittlich fast 10-jährige PKW Haltedauer in Europa. Diese bedingt ganz ohne weitere akademische Spielereinen, dass frühestens in 10 Jahren alle Fahrzeuge auf der Straße einen Elektroantrieb haben – vorausgesetzt es werden ab sofort nur noch elektrische Autos gekauft.

In der volkswirtschaftlichen Szenarienplanung ist es von eminenter Bedeutung realistische Szenarien anzunehmen, um bei einer realistischen Zukunftseinschätzung herauszukommen.

Warum auch renommierte Wirtschaftler das gerade bei der E-Mobilität außer Betracht lassen?

Zusammenfassung und Schluss

Dieser Exkurs ist kein Husarenritt gegen den Verbrenner und auch keine Hommage für den E-Antrieb.

Im Gegenteil, der Autor wirbt dafür, nicht den gleichen Fehler bei E-Antrieb versus Brennstoffzellengestützter E-Antrieb zu wiederholen und durch Schmähung wichtige Fakten lange Zeit zu ignorieren, die unsere Ökonomie in eine nachteilige Position setzen können.

Dr Ulrich W. Schiefer, MBA; AtTrack GmbH

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