Aus den Gazetten tönt es seit fast einem Jahrzehnt immer wieder, dass große Stückzahlen chinesischer (E-)Autos in Superfähren schon auf dem Meer schwämmen und es nur noch eine Frage von Wochen sei, bis diese auch unsere Straßen überfluten.
Warum fand das zum Glück für die europäische Autoindustrie nicht statt, oder besser gesagt, warum haben wir im Großen und Ganzen nur einen Anlauf mitbekommen, der jedoch damals kläglich scheiterte? Die FAZ schrieb am 21.6.2007 dazu: Der Markteintritt der chinesischen Autofirma Brilliance in Deutschland wird von einem desaströsen Crashtest überschattet
Und dann dauert es mal geschwind 15 Jahre bis sich die Chinesische Autoindustrie erneut anschickt den europäischen Markt zu erobern. Was nicht nur an Corona lag, sondern auch daran, dass die chinesische Regierung offensichtlich auch Druck darauf gemacht hat, zuerst die nationale „Autopipeline“ zu füllen.
Dass man in der Zwischenzeit nicht geschlafen hat zeigt übrigens die letzte Veröffentlichung der Euro NCAP Tests. Dabei fiel nicht nur auf, dass E-Autos im Mittel besser abschnitten als Verbrenner, sondern auch daran, dass zwei chinesische Fahrzeuge das Prädikat „Best in Class“ erreicht haben. Das war zum einen in der Klasse „Small Family Cars“ der chinesische Ora Funky Cat sowie am anderen Ende der Größen- und Gewichtsskala der Wey Coffee 01 in der Klasse „Large-Off-Roader“.
Mittlerweile mehren sich die Anzeichen darauf, dass die erste große chinesische Exportwelle nach Europa jetzt tatsächlich kurz bevorsteht. Neu zugewachsenes, gerade auch technisches Selbstbewusstsein scheint nur ein guter Grund für die chinesische Autoindustrie zu sein, das jetzt zu tun.
Die mangelnde Lieferfähigkeit der Europäer bei E Fahrzeugen zu nutzen, den offenen Bedarf mit chinesischen Autos zu füllen ist nicht nur verlockend, sondern ist mit Sicht auf die inhärente Ertragschancen geradezu ein Muss für chinesische Hersteller.
Durch die früh aufgebauten Batteriekapazitäten sitzt man in China einfach am längeren Hebel, wenn es um die Verfügbarkeit von Traktionsbatterien geht, während die Europäer sich hinten anstellen müssen.
Die Spitze dieses Eisberges hat der deutsche Autovermieter Sixt erst jüngst markiert mit seiner Ankündigung 100 Tsd. chinesische E-Autos bestellt zu haben. Dies sei der Bedarf nach Abzug aller in Europa kaufbaren Fahrzeugkontingente, kommentierte man dort mit einem Seitenhieb auf die europäische Autoindustrie.
Und so scheint man nun in China bestens aufgestellt zu sein, Fahrzeuge in sehr großem Umfang, ausgestattet mit hochwertigen Batterien aus eigener Herstellung sowie gestählt durch die bereits von den hiesigen gesetzgebenden Behörden gratifizierten Crashtesteigenschaften der chinesischen Produkte den deutschen/europäischen Markt zu fluten.
Ein weiterer Aspekt liegt in den Marktgegebenheiten. Bedingt durch den Ukrainekrieg, hohe Energiepreise und galoppierender Inflation ist der lebenslang treue Kunde wohl so langsam bereit, das Credo das „Beste oder nichts“ nicht mehr ganz vorne anzustellen.
Dass übrigens auch Tesla mit dem E-Auto Tsunami in Europa rechnet, ist nicht zuletzt daran gut zu sehen, dass Musk die Preise von Modell 3 und Modell Y deutlich senkt!
Und stetig grüßt das Murmeltier, woran erinnert man sich denn, wenn man im langjährigen Vergleich auf die Automobilwirtschaft schaut? War da nicht schon mal eine ähnliche Situation und ja man wird fündig mit dem Blick auf die „japanische Autoschwemme“, die wir erlebten, als diese Autonation Mitte der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Schleussen öffnete.
Kurze Retrospektive: die Fahrzeuge der deutschen Autoindustrie waren noch vielfach auf Heckantriebsplattformen. Viele werden sich erinnern, da gabs bei Opel den Kadett, den Ascona, den Rekord,…. Bei Ford hießen die Modelle Escort, Granada, Capri, und VW löste sich erst langsam vom Motor in der „Reserveradmulde“ namens Käfer (Heckmotor) und seiner Derivate. Natürlich gabs längst den DKW und auch den Traction Avant bei den französischen Herstellern, aber Mainstream ist anders.
Aus heutiger Sicht war es damals ‚5 vor 12‘, als dann VW mit Design von Giugiaro den futuristischen Golf 1 durchdrückte.
Und so ergab es sich, dass die Deutschen ihre ersten Fronttriebler bauten, während in Japan schon in der Vorwärtsbewegung große Stückzahl Fronttriebler die Werkstore verließen und man bereits nennenswert exportfähig war.
Und so waren schon die ersten Fronttriebler aus Japan verfügbar noch bevor es die deutschen Autos in Breite ins Schaufester geschafft hatten.
Und dann der Schock: viele japanische Autos mit deutlichen Produktvorteilen, aber auch funktionalen Vorteilen wie mehr Innenraum, keinen Mitteltunnel, kürzere äußere Abmessungen und das noch mit voller Ausstattung und geringerem Preis.
Und niemand hat trennscharf analysiert, dass eigentlich der Technologiewandel die Ursache war für das äußerst attraktive Paket der Japaner, das dann prompt sehr gute Verkaufsergebnisse zeitigte.
Und was hat das mit chinesischen E-Autos in 2023 zu tun? Wieder treffen Schiffe-weise herantransportierte Autos in Europa ein. Wieder hat ein Großteil der Bevölkerung noch kein solches E-Auto gefahren. Und wieder wird man den Vorteil der neu angreifenden innovativen Autonation China zuschreiben
Und jeder hierzulande wird natürlich den Chief Financial Officer Hut aufsetzen und wissen, dass die chinesischen Autos ja billiger sein müssen, einfach weil unsere Arbeitnehmer so teuer sind. In der längeren Sicht wird natürlich klar werden, dass E-Autos im eingeschwungenen Marktzustand und versehen mit -Industrie-eigener Batteriepower deutlich günstiger herzustellen sind als Verbrenner.
Und hier zeigt sich nun deutlich, dass das Aussitzen einer Technologie, wenn nicht gleich, so doch auf Zeit an heftige Nachteile geknüpft ist für die Industrie, die gewartet hat.
Wie denken Sie darüber? Schicken Sie mir Ihren Kommentar.
Beste Grüße,
Ihr Dr. Ulrich W. Schiefer, MBA