Es fühlte sich schon seltsam an, als mich die «Automobil Revue» bat, nach Weissach zu fahren, um über den letztjährigen Porsche-Le-Mans-Hybridrenner zu berichten. Warum seltsam? 1999 war ich Gesamtleiter des siegreichen BMW-Einsatzes in Le Mans. Fritz Enzinger, der das Porsche-Projekt Le Mans geleitet hat, war vor zwanzig Jahren – auch bereits während meiner Zeit als BMW-Tourenwagenchef – der verlässliche Mann an meiner Seite. Gerade wenn es um Beschaffung ging, zauberte er stets das Unverfügbare herbei mit der Devise «Gibts nicht gibts nicht». 2017 konnte er dann mit Porsche den Triumph des Le-Mans-Sieges auskosten, ganz ähnlich wie ich bei BMW 1999. Doch nicht nur zu sehen, wie er das, was er bei BMW gesehen hat, weiterentwickelt hat, war meine Triebfeder für die AR-Aufgabe. Was mich noch zudem reizte, war zu sehen, was den hybridangetriebenen Le-Mans-Sportwagen im Vergleich zum rein verbrennungsmotorisch angetriebenen ausmacht.
Geheim oder nicht? Als ich mich auf den Weg nach Weissach machte, entstand in meinem Kopf der BMW V12 LMR Teil um Teil wieder neu. Gleichzeitig hatte ich all die Hybrid-und E-Antriebstechnik im Kopf, mit der ich mich in den letzten Jahren stark befasse. Natürlich schwammen in diesem Gedankensee auch die Rennautos mit, die ich seither bauen oder begleiten durfte. Und nun die Kombination Hybrid und Le Mans – ich war gespannt. Als ich eintraf, herrschte betriebsame Hektik auf dem Weissacher Hügel, alles ist seit der Zeit, als ich da als PorscheEngineering-Chef ein und aus ging, eine Nummer grösser geworden. Ein kurzer Aufreger entstand an der Pforte mit der Frage nach der Unterschrift unter die Geheimhaltungserklärung. Ja soll man nun berichten oder geheim halten? Des Rätsels Lösung lieferte dann der freundliche Herr von der Porsche
«Well done, Fritz!»
Presse, indem er klarstellt, dass es sich bei der Geheimhaltung nur darum drehe, dass es nicht erlaubt sei, zu fotografieren. Das war kein Problem, weil das Handy im Auto und der Porsche-Fotograf am Start war in der Motorsportabteilung in Weissach. Also geschwind mit dem Shuttle runter in die Talsenke zur Sportabteilung. Und da standen sie nun, die Hybrid-Ikonen der Porsche-Rennabteilung. Zur Darstellung der intensiven Weiterentwicklung hat man Auto 2 (das erste Fahrzeug wurde für den Abnahmecrash verwendet) aus 2013 aufgefahren und dazu einen auf Stand 2017 mit abgenommener Haube – das älteste noch vorhandene Chassis zum Vergleich mit dem aktuellen Stand.
Auf zur Elektronik Rund ein Dutzend Journalisten machte sich über die sorgsam aufgebauten Fahrzeuge und Komponenten her. Ich habe mich gleich auf den Weg gemacht zur Elektrik/Elektronik. Markantester Aufbau war eine Systemwand, auf der funktionsfähig die ganze Elektrik und Elektronik des Fahrzeuges aufgebaut war. Auffallend die Mixtur aus verschiedenen Fabrikaten: das Motorsteuergerät von Bosch, die Zentralelektronik von TAG, wie sie in andere Motorsportklassen Standard ist, dann die Porsche-eigenen Steuergeräte und dazwischen die Kistler-Messverstärker für das Datalogging. Ein Schlingel, wer da denkt, dass es wohl am Anfang ordentliche Interface-Themen gegeben haben mag. Aber zum Glück gibt es ja den CAN Bus Standard. Unspektakulär scheinend, und dann doch im Detail brilliant, sind die hauchdünnen, bedampften Kohle faserscheinwerferreflektoren – leichter gehts nicht. Schon fast selbstverständlich, dass man keine Kurvenlichtmechanik einbaute, sondern das Leuchtfeld durch wechselnde Bestromung der LED laufend streckenspezifisch adaptierte. Eine Randnotiz hierzu: Wer kennt sie nicht, die weissen Straßenschilder mit schwarzer Schrift, die hochnachleuchtend und orientierungsgebend entlang der Hynaudiere stehen. Sie blendeten die Fahrer durch die breitstrahlenden LED so stark, dass man beim
Vorbeifahren die entsprechenden LED kurz ausgeschaltet hat.
Die sieben Brücken Und da sind wir schon beim wesentlichen Punkt: stets zu wissen, wo man ist auf der Strecke. Vom GPS ist man früh abgerückt, wie der Elektronikexperte erklärt. Wenn das Auto den Kontakt zum Satelliten verliert, dauert der digitale Blindflug zu lange, denn das System muss anschließend erst wieder synchronisiert werden. Also galt es, entlang der vorher selbst messtechnisch erzeugten Streckentopologie zu fahren und dabei die Fortbewegung hochpräzise zu erfassen. Dabei helfen die sieben Brücken über die das Auto im Laufe einer Runde in Le Mans fährt – in Form von Induktionsschleifen. Auch der selbstabblendende und punktlichtresistente Rückspiegel ist bemerkenswert, weil man mit den seitlich angebrachten Spiegeln den knackigen, breiten Hintern des Sahnestückchens gar nicht einsehen kann. Dann kommen wir zum Kraftwerk des Hybridrenners. Das Fahrzeug ist nach dem Split-Axle Technisches Prinzip aufgebaut. An der Hinterachse werkelt der Verbrenner, und zusätzlich zerrt eine hochperformante E-Maschine an der Vorderachse. Diese bringt bis zu 380 PS auf die Vorderräder und dreht dabei bis zu 40 000 Touren/min, kaum vorstellbar, wenn man dieses sehr kompakte Kraftpaket sieht. Vielleicht noch eindrucksvoller ist die Hochvoltbatterie. Mit im Vergleich zu Serienautos mickrig klingenden 1.5 kWh Batteriekapazität scheint sie eher ein Schwächling zu sein. Wenn man dann aber die 430 kW Leistung in Betracht zieht, die sie kurzfristig per Bremsenergierückgewinnung aufnehmen kann, dann hat man eine Vorstellung, was da abgeht. In einem Rennen macht sie das 5000-mal und ist dabei, weil sie komplett entleert und wieder gefüllt wird, so gestresst, dass sie bis zu 15 Prozent der Speicherfähigkeit verliert. Das heißt doch aber, dass man im Mittel übers Rennen nur mit 93,5 Prozent der Batteriekapazität gefahren ist und gerade am Ende des Rennens das Auto 15 Prozent der elektrischen Leistung verliert, weil die Batterie schwach ist. Da läge in der Zukunft sicher noch einiges Potenzial bei der Batterieschonung durch ein
Lademanagement, das beispielsweise nicht den vollen Ladehub nutzt. Spannend auch die Wirkung der Bremsenergierückgewinnung auf die Bremsanlage. Die Reibbremse ist so ausgelegt, dass sie das Auto auch ohne Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung über den E-Motor) sicher zum Stand bringt, jedoch nicht darauf, dass sie das oft hintereinander tun könnte, ohne auszuglühen.
Ein Motörchen Fast ein wenig schüchtern steht er da, fast so, als ob er sich neben all dem Elektronikzeugs für seine Existenz rechtfertigen müsste. Die Rede ist vom hochaufgeladenen Zweiliter-V4-Zylinder, der aus diesem kleinen Bau- und Hubraum bis zu 580 PS herausquetscht. Für mich, der als Entwickler einen sechslitrigen Zwölfzylinder unterbringen musste, ist das ein Motörchen, das quasi von selbst im Fahrzeug verschwindet. Von Länge kann gar keine Rede sein – im Vergleich zum Zwölfer ist das eher eine Scheibe. Da ergibt sich plötzlich Platz für so vieles, und gefühlt lösen sich alle Packageprobleme in Luft auf.Durch die Kraftstoffdurchsatzbegrenzung habe man ihn am unteren Limit seines möglichen Leistungsbandes betrieben. Und eine weitere Komponente ist Teil des Antriebsstranges: die Abgasturbine zur Energierückgewinnung. Dieses Kunstwerk sitzt oben auf dem Monocoque hinter dem Fahrerkopf, schaufelt bis zu 40 kW zusätzliche Energie in die Batterie und wäre in Komplexität und Ausführung einen eigenen Bericht wert.
Kalt, mittel und warm Heute üblich und bemerkenswert schön ausgeführt, ist die voneinander getrennte Roll- und Nick-Feder-/Dämpfereinheit an der Vorderachse. Auch der geregelte Höhenstandausgleich verdient Erwähnung, der dafür sorgt, dass die Unterbodenaerodynamik perfekt funktionieren kann. Die Michelin-Fachleute, die vor Ort waren, haben davon berichtet, wie sie bei der letzten Reglementsänderung plötzlich mit einer 15 Prozent kleineren Reifenaufstandfläche zu kämpfen hatten. Auch wenn das zunächst wie Askese aussah, hat das auch dank Allrad dazu geführt, dass man vorne und hinten die gleiche Reifenbreite fahren kann. Ebenfalls wegweisend empfand ich den neuen Michelin-Ansatz, nicht mehr von weich, mittel und hart zu reden, sondern von kalt, mittel und warm. Vor dieser Umstellung sei man es ja gewöhnt gewesen, dass im Morgengrauen die schnellsten Runden gefahren wurden, weil gute Sicht und eine mit kühler Luft hohe Leistungsentfaltung einfach die besten Voraussetzungen boten. Jetzt sei es so, dass diese Peaks dank entsprechender Reifenwahl eingeebnet seien, was vor allem den Vorteil hat, dass der Fahrer nach der Ruhepause wieder ein ähnlich fahrbares Auto wie in seinem letzten Stint vorfindet. Ich suche nach einem Ingenieur, der nicht nur den Hybrid mitentwickelt hat, sondern auch schon ein Verbrennerauto, und ich frage ihn, was denn nun der schwierige Part gewesen sei bei der Entwicklung des Hybrids gegenüber dem reinen Verbrenner. Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort: «Die Abstimmung der rein elektrischen Antriebskraft auf der Vorderachse mit der reinen Verbrennerkraft auf der Hinterachse und die Lösung der durch die zusätzlichen Komponenten aufgeworfenen Packagefragen.» Das kann ich absolut nachempfinden, die komplexe Regelung des Verbrenners mit dem gut regelbaren E-Motor in Einklang zu bringen und dann noch das Turboloch gegenüber der sofort mit vollem Moment hochdrehender E-Maschine, ist schier ein Ding der Unmöglichkeit. Auf die Frage, was wir aus dem Engagement für die Serie lernen können, kamen die Prozessthemen wie schnelle Entwicklung und Umsetzung und die der Serienentwicklung vorauslaufenden E-Motoren und die Prüfstandsentwicklung (höhere Drehzahlen), die auch in der Serie nutzbar sind.
Berührungsängste sind da Zusammenfassend: Ein verblüffend einfaches Konzept, das jeden Schnörkel vermeidet. Ganz so, wie ich bei meinem Le-Mans-Einsatz oft zitiert wurde: «Was nicht im Auto ist, kann nicht kaputt gehen.» Dabei aber blitzsauber entwickelt und ausgeführt. So soll es sein, hat man doch mit dem in der Serie einfacheren und hier im Rennbetrieb komplexeren Hybridantrieb schon genug Unsicherheiten an Bord. Es ist spürbar, dass immer noch viele Ingenieure Berührungsängste haben mit der neuen elektrischen Welt. Hier ist es mehr der Le-Mans-Reglementschreiber ACO als die am Auto arbeitenden Menschen. Wie sonst kann man sich erklären, dass in diesem relativ trockenen Auto ein hydraulischer Nebentriebstrang arbeitet? Die Frage danach war schnell beantwortet, als einer der Porsche-Experten berichtet, dass als Spannungslage im Nebentrieb maximal 48 Volt erlaubt sind, zu wenig, um eine angetriebene Rennachse mit E-Steller zu lenken. Also muss zunächst der Traum weitergeträumt werden, dass all das durch den menschlichen Fahrer liegengelassene Reibschlusspotenzial durch eine schnelle elektrische Überlagerungslenkung kompensiert wird. Im zusammenfassenden Rückblick sage ich nur: «Well done, Fritz!» Ein Auto das einen Ehrenplatz im Porsche-Museum verdient, wo es eigentlich angesichts seiner technischen Aktualität noch gar nicht hingehört. Welche Performance der 99er-Le Mans-Sieger BMW V12 LMR mit vier Zylindern und fettem E-Motor statt des Zwölfzylinder-Verbrenners gehabt hätte, wer weiß? Eine Kanne voll Sprit wär wohl immer übrig geblieben.